Früher war alles anders. Und damit meine ich nicht das letzte Jahrhundert, die Neunziger oder Achtziger, in denen ich geboren und aufgewachsen bin.

Und ich meine auch nicht irgendwelche gesellschaftlichen Veränderungen irgendwo da draußen. Ich meine mein eigenes Leben, mein Denken und Fühlen. Und ganz konkret: das Thema sich abgrenzen lernen und Grenzen setzen.

Das liebe, brave Mädchen, das es immer allen recht machte

 

Früher habe ich mich primär an dem orientiert, was andere von mir wollten oder erwarteten. Ich hatte als Kind gelernt, dass ich dann am meisten geliebt werde, wenn ich tue, was man von mir erwartet.

Und als Kind, sogar als Jugendliche noch habe ich das mit Bravour gemeistert. Ich war so ein braves, liebes und ordentliches Kind. In der Schule hatte ich nur die besten Noten, war beliebt bei allen Lehrern, machte immer brav und ordentlich meine Hausaufgaben und half auch im Haushalt mit.

Ich glaube, ich war wirklich ein Vorzeigekind. Immer lieb, brav und nett – ein Traum aller Eltern, die sich ein liebes Mädchen wünschen, das niemals unangenehm auffällt und alles macht, was man von ihm erwartet.

Es hatte seinen Preis

 

So schön das für meine Eltern und Lehrer sicherlich war – für mich war es eine schwere Bürde. Denn, wer immer danach bestrebt ist, es allen recht zu machen und alle zufriedenzustellen, der hat Schwierigkeiten damit, sich abgrenzen und klare Grenzen setzen zu lernen gegenüber Dingen, die ihm nicht guttun.

Und so war es dann auch. In meiner ersten Beziehung erlebte ich viele schmerzhafte Erfahrungen, die überwiegend damit zusammen hingen, dass ich nicht klar und deutlich sagen konnte, dass ich dies oder jenes nicht wollte.

Ich ließ mich und meinen Körper benutzen, weil ich so sehr darauf konditioniert war, es allen recht zu machen. Und so eine Angst davor hatte, was passieren würde, wenn ich es nicht mehr tun würde. Lieber opferte ich mich und meine Grenzen als zu riskieren, dass sich der andere von mir abwandte.

Doch diese Erfahrungen waren notwendig für mich, um zu erkennen, dass das auf Dauer nicht gut geht, wenn ich immer nach den Erwartungen und Wünschen anderer lebe. Dass es mir damit nicht gut geht und ich darunter leide. Und dass im Endeffekt sogar andere darunter leiden – aber das ist noch mal ein anderes Thema.

Sich abgrenzen lernen – ein schmerzhafter Prozess für mich

 

Ich durfte lernen, dass, wenn ich mein eigenes Leben nach meinen Vorstellungen leben wollte, es notwendig war, dass ich lernte, Nein zu sagen und mich abzugrenzen.

Es war ein harter und schmerzhafter Lernprozess. Denn für jemanden, der den Glaubenssatz „Ich werde nur geliebt, wenn ich die Erwartungen anderer erfülle“ in jeder Zelle seines Körpers sitzen hat, für den ist es zutiefst schmerzhaft, wenn er damit anfängt, seine eigenen Wege zu gehen und dadurch auch mal sein Umfeld zu enttäuschen. Es ist quasi wie ein Drogenentzug. Es tut körperlich weh. Und das ganze System sträubt sich dagegen.

Warum sich abgrenzen lernen wie ein Drogenentzug sein kann

 

Und ich denke auch, dass es biologisch betrachtet eine ähnliche Wirkung hat wie ein Drogenentzug. Denn immer dann, wenn ich die Erwartungen anderer erfüllt hatte und gelobt wurde, hat mich das glücklich gemacht. Und immer dann, wenn wir glücklich sind, werden bestimmte Hormone in unserem Gehirn ausgeschüttet, die uns auf ganz natürliche Art high machen. (Okay, ich bin keine Biologin, aber so habe ich mir das mit meinem rudimentären Wissen zusammengereimt.)

Nein Sagen Freebie

Als ich damit anfing, andere wissentlich zu enttäuschen (weil es manchmal die Konsequenz war, wenn ich das tat, was ICH tun wollte), war das wie ein Entzug. Nicht nur, dass die Ausschüttung der Glückshormone ausblieb. Es setzte mich auch abgrundtiefen Ängsten aus. Der Angst, nicht mehr geliebt zu werden.

Oh man, wenn ich heute daran denke, wird mir immer noch ganz anders. Ich habe teilweise so gelitten. Unglaublich.

Die Mühe hat sich mehr als gelohnt

 

Ich bin mir selbst heute so unendlich dankbar, dass ich das durchgestanden und ausgehalten habe und mich nicht von meinem Weg habe abbringen lassen.

Mich abgrenzen lernen war für mich ein jahrelanger Weg und ich gehe davon aus, dass mir dieses Thema in der ein oder anderen Form immer wieder begegnen wird. Doch ich bin dankbar für das, was ich erreicht habe. Für jedes bisschen Boden, das ich gut gemacht habe. Für jeden kleinen und großen Sieg gegen meine Sucht nach Anerkennung, der mir jedes mal ein bisschen mehr Freiheit geschenkt hat.

Ja, ich habe definitiv noch viel zu lernen. Es gibt immer noch viele Momente, in denen es ein wahrer Kampf ist, mich für mich und gegen die Erwartungen aus meinem Umfeld zu entscheiden. Sich abgrenzen lernen geht auch für mich noch weiter.

Doch im Vergleich zu meiner Kindheit und Jugend bin ich weit gekommen. Und ja, dafür bin ich unendlich dankbar.

Wie auch du dich abgrenzen lernen kannst – Eine Übung

 

Ich möchte dir heute eine kleine Übung mit auf den Weg geben, die dir dabei helfen kann, dich abgrenzen zu lernen.

Ich durfte sie vor Kurzem erst wieder für mich selbst anwenden und war begeistert, was es für einen Unterschied machte.

Wenn du dich wieder einmal bestimmten Erwartungen gegenüber siehst, z.B. dass dich jemand um etwas Bestimmtes bittet, tue Folgendes:

1. Sorge dafür, dass du Zeit hast, um über das Anliegen des anderen nachzudenken und es dir in Ruhe durch den Kopf und den Bauch gehen zu lassen. Lasse dich nicht überrumpeln oder bedrängen und sage dem anderen, dass du darüber nachdenkst und dich bei ihm meldest.

2. Ziehe dich für einen Moment zurück, sorge dafür, dass du Ruhe hast und spüre in dich hinein. Und dann stelle dir diese Fragen:

I. WILLST du das, was der andere von dir will? Ist es das, was DU willst? Und willst du das auch WIRKLICH?

II. Wenn ja, wenn du es wirklich, wirklich willst: Unter welchen Bedingungen willst du es? Wie muss es aussehen, ablaufen, gestaltet sein, damit DU dich damit wohlfühlst? Was brauchst du dabei, damit es für dich von vorne bis hinten richtig und stimmig ist?

 

Klarheit über die eigenen Bedürfnisse hilft beim sich abgrenzen lernen

 

Es gäbe noch viel mehr Fragen, die du dir stellen könntest und einige findest du in diesem Artikel über das liebevolle Neinsagen.

Doch ich finde, das Wichtigste ist, dass du dir selbst Zeit nimmst, um dich zu fragen, was DU überhaupt willst. Denn wenn du dich das nicht fragst, hast du ja überhaupt nichts, das du den Erwartungen der anderen entgegensetzen kannst.

Du spürst vielleicht nur ein Unbehagen bei der Vorstellung, das zu tun, was der andere von dir will. Aber du kannst eben auch nicht sagen, was du stattdessen willst.

Doch das zu wissen, stärkt deine Position ungemein. Nimm dir also die Zeit, um deine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkunden.

Ja, du darfst das. Ja, du hast es verdient. Und ja, du wirst dann auch immer noch geliebt werden.

Meinen Segen hast du auf jeden Fall. 😉

Alles Liebe
Deine Mutflüsterin Claudia

 

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Liebevoll Nein sagen – Diese Formulierungen helfen dir dabei

Die Angst vor Ablehnung – Wie du mutig und gelassen deinen Weg gehst

 

Foto: Allef Vinicius

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